Der letzte Tanz von Tarlabasi
Tarlabasi-Boulevard, im Stadtkern in baufälliger Nachbarschaft gelegen, verläuft parallel zur Istiklal-Straße, der weltoffenen Verkehrsader Istanbuls. Wenn man Istiklal runterläuft, kann man den Herzschlag der Innenstadt hören – Tarlabasi dagegen, nur drei Minuten entfernt, ist ein Zwilling im Schatten, dessen Herz in seinem eigenen, unregelmäßigen Rhythmus schlägt.
Trotz seiner heruntergekommenen Erscheinung und seinem kriminellen Ruf bietet Tarlabasi ein kulturell dynamisches Nachbarschaftskaleidoskop. Es ist bewohnt von Arbeitsmigranten aus Anatolien, von Roma und anderen, die Zuflucht oder Arbeit in dieser großen Stadt suchen, von frommen Muslimen bis zu Leuten an den Rändern der Gesellschaft. Aber dieses facettenreiche Gefüge verändert sich, seit im Juni 2011 der Magistrat begonnen hat, gemäß dem Regierungsplan zur Stadtverschönerung eine Reihe von Räumungen vorzunehmen. Als Folge der jüngsten Stadtentwicklungsinitiative müssen viele Bewohner von Tarlabasi wegziehen. Ihre Wohnungen werden zerstört, um dem Bau gehobener neuer Residenzen Platz zu bieten. Ganze Straßenzüge in Tarlabasi sind bereits an private Firmen verkauft worden; sie verwandeln die Straßen in geisterhafte Baracken, die ihrer Sanierung harren.
„Der letzte Tanz von Tarlabasi“ ist ein visuelles Märchen. Es handelt davon, wie diese Nachbarschaft kämpft, um den schonungslosen Gang des städtischen Wandels in Istanbul zu überleben. Das symbolische Zentrum der Geschichte ist eine Roma-Hochzeit, wo Mukaddes – die 17 Jahre alte Braut, die in Tarlabasi geboren und aufgewachsen ist – am Boden zerstört ist, weil sie ihr Zuhause und ihre Familie in Kürze verlassen wird. „Trockne Deine Tränen und tanze, schönes Mädchen von Tarlabasi! Schon bald wirst Du nicht mehr hier sein“ – singen ihre Verwandten und strömen wild feiernd in die schmale Allee im Roma-Viertel. Mukaddes’ unendliches Heimweh findet Widerhall in den Herzen der meisten Bewohner von Tarlabasi, deren Weggang das Gesicht der Stadt für immer verändern wird.