Eine stolze Haltung
Ich habe Porträts von jungen Frauen gemacht, die in der Textilbranche arbeiten. Es war nicht mein Ziel, die schwierigen Arbeitsbedingungen zu dokumentieren oder die Frauen bei der Arbeit zu zeigen. Mehr als alles andere hat mich interessiert, wer diese türkischen Frauen hinter den Nähmaschinen eigentlich sind.
Im Allgemeinen ziehe ich alles in Zweifel, insbesondere Identität und das geschlechterspezifische Selbstverständnis. Ich konzentriere mich auf die Adoleszenz und porträtiere diesen heiklen und kurzen Weg zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Er ist eine Zeit voller Träume, voller Nostalgie, eine Zeit blauer Gefühle und des Versuchs sich vorzustellen, was man in Zukunft sein wird. Die Jugend ist für mich die Vermessung all dessen, was möglich ist. In ihr treffen sich Realität und Fiktion – und das ist es, was mich als Fotograf interessiert. Indem ich versuche, die Gefühle der Jugend darzustellen, kann ich mich wieder mit dem Ich verbinden, dass ich selbst in diesem Alter war, und es schließlich legitimieren.
Am Anfang jedes Projekts steht eine Menge Arbeit. Dazu gehört, geistig vorwegzunehmen, wie es später sein wird, im Kopf Entwürfe zu zeichnen und Leitfäden für meine Geschichte vorzubereiten. Während der Arbeit versuche ich dann, das, was ich sehe, mit dem abzugleichen, was ich im Kopf hatte. Dabei nutze ich die Realität entweder so, wie ich sie vorfinde, oder ich passe sie meinem Ziel an.
Am meisten überrascht hat mich bei meinem Aufenthalt in der Textilfabrik die unglaublich stolze Haltung dieser jungen Frauen, die aus allen Teilen des Landes kommen, um dort zu arbeiten. Es war ihr Stolz, der sie in meinen Augen so schön machte. Sie erinnerten mich an diese flämischen Porträts, die wir aus dem 17. Jahrhundert kennen. Diese jungen Frauen standen so großzügig Modell für diese Bilder – ich bin ihnen sehr dankbar.